Antisemitismus | | Nr. 398/23
TOP 46: Nie wieder ist jetzt!
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Mann besaß einen Ring, den er stets an seinen Lieblingssohn vererbte. Einmal jedoch liebte ein Vater seine drei Söhne gleichermaßen – also ließ er Duplikate anfertigen und vererbte drei gleichaussehende Ringe. Die Söhne gerieten in Streit darüber, wer den wahren Ring besäße. Auch ein Richter konnte ihnen nicht helfen und entschied, der echte Ring sei verlorengegangen. 1779 schuf Gotthold Ephraim Lessing diese Ringparabel. Ihre Botschaft: Die drei Weltreligionen – Christentum, Judentum und Islam – sollen friedlich koexistieren, Toleranz üben und jede Form religiösen Fanatismus sei abzulehnen.
Heute, 250 Jahre später, sind leider nicht alle Menschen so klug, so vernünftig, so rational, diese Weisheit anzunehmen. Dies führte uns allen der 7. Oktober vor Augen, als die Terroristen der Hamas Israel brutal überfielen, Männer, Frauen und Kinder folterten, ermordeten oder verschleppten und selbst vor Säuglingen nicht Halt machten.
Noch vor kurzem war für mich unvorstellbar, was wir heute in Deutschland erleben: Nach diesem Überfall mit dem größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoa wurde in deutschen Städten von Teilen der Bevölkerung gefeiert, das Existenzrecht Israels in Frage gestellt, Jüdinnen und Juden beschimpft, ihre Wohnhäuser markiert und Einrichtungen bedroht. Es ist eine Schande, dass sich das Gift des Antisemitismus wieder bei uns breit macht. Wie kann es sein, dass Islamisten die Freiheiten unserer Demokratie für Antisemitismus, Israel-Hass und religiösen Wahn auszunutzen? Wie kann es sein, dass in Deutschland eine rechtsextreme Partei stetig wächst und Antisemitismus von links verharmlost wird? Und was ist eigentlich mit Greta Thunberg los?
Jetzt ist Haltung gefragt. Bloße Lippenbekenntnisse für Israel und für Jüdinnen und Juden in Deutschland und überall auf der Welt reichen nicht aus. Jetzt kommt es auf ein entschlossenes, unmissverständliches und starkes Handeln von Staat und Gesellschaft an. Nicht nur die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern auch aktueller Antisemitismus fordern: Wir müssen handeln – und zwar jetzt! Wir dürfen nicht wegsehen oder schweigen, wenn Jüdinnen und Juden beleidigt, beschimpft oder bedroht werden. Wir dürfen kein Geld für Vereine, Institutionen und Verbände vorsehen und freigeben, die nicht auf dem Boden unserer Verfassung stehen. Und wir müssen ganz genau hinschauen, wer zu uns kommt – und dann auch den Mut haben, zu sagen: Du bist Antisemit, dich wollen wir nicht!
Neben dieser konsequenten Intervention gegen Antisemitismus müssen wir auch die Prävention großschreiben. In Schleswig-Holstein tun wir bereits viel: Landesaktionsplan gegen Antisemitismus, Runder Tisch „SHalom&Moin“, Unterstützung der Sanierungsarbeiten in den Synagogen in Kiel und die Informations- und Beratungsstelle Antisemitismus hat gerade ihre Arbeit aufgenommen.
Aktuelle Entwicklungen zeigen aber, es braucht mehr und zwar eine intensive Bildungskampagne. Alle Bildungseinrichtungen müssen sich besonders intensiv mit Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzen und unmissverständlich unseren demokratischen, auf Toleranz fußenden Wertekanon lehren.
Gemeinsam wollen wir – alle Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtages – eine Bildungsoffensive gegen Antisemitismus auf den Weg bringen. 10 Punkte sollen uns dabei leiten:
Präventionskonzepte müssen ausgebaut, der Kampf gegen Antisemitismus als Erziehungs- und Bildungsziel verankert werden. Im Unterricht soll mehr über Israel und den Nahostkonflikt gesprochen werden – also überarbeiten wir Lehrpläne, Fachanforderungen, Fortbildungsangebote und das IQSH erstellt geeignete Materialien. Der Lernerfolg ist bei jungen Menschen nachhaltig, wenn sie sich intensiv mit dem Unterrichtsthema auseinandersetzen. Dazu braucht es Zeit. Und diese wollen wir ihnen geben, in Form von Projekten zum 9. November oder dem 27. Januar – dem Tag der Befreiung von Auschwitz. Aber auch Theaterschauspiele, Initiativen wie „Schule ohne Rassismus“ und sorgfältige Medienerziehung sind essenziell. Schließlich tummeln sich auf Plattformen wie TikTok-Hassprediger, FakeNews und islamistische Propaganda.
Haltungen und Wertevorstellungen reifen bei Schülerinnen und Schülern besonders, wenn der schulische Alltag durchbrochen wird, wenn sie selbst etwas entdecken können. Diese Erfahrung konnte ich mit meinen Schülerinnen und Schülern mehrfach machen – sei es in Neuengamme oder in Auschwitz. Stets haben diese Fahrten tiefe Spuren in der Schulbiografie des Einzelnen hinterlassen. Deshalb lautet unser Ziel: Jede Schülerin und jeder Schüler muss mindestens einmal eine Gedenkstätte besuchen.
Im Kampf gegen Antisemitismus braucht es mehr Sensibilität, sowohl im Unterricht als auch auf dem Pausenhof. Bei antisemitischen Vorfällen und Äußerungen muss gelten: Keine Bagatellisierungen, sondern hinsehen, eingreifen und dies im Unterricht eindeutig thematisieren.
Wissen ist der Feind der Vorurteile. Also muss jede Schülerin und jeder Schüler die Verbrechen gegenüber den Jüdinnen und Juden sowie die besondere Verantwortung Deutschlands kennen und verstehen. Für den Unterricht bedeutet das: Er darf sich nicht nur auf das Erwerben von Faktenwissen beschränken, sondern muss auch eine wertegeleitete Urteilsbildung enthalten.
Aber der Blick sollte nicht nur auf der Vergangenheit verharren, sondern auch die Gegenwart und damit heutiges jüdisches Leben sichtbar machen – durch Besuch einer Gemeinde, Einrichtung oder durch ein Treffen mit Einzelpersonen – z.B. im Projekt „Meet a Jew“, wodurch Vorurteile und Stereotype abgebaut werden.
Also, auf geht’s mit unserer Bildungsoffensive. Es steht in unserer Verantwortung, dass dem Antisemitismus Einhalt geboten wird. Es steht in unserer Verantwortung, dass Jüdinnen und Juden sicher in unserem Land leben können, genauso wie Christen, Muslime und Menschen aller anderen Glaubensrichtungen. Es steht in unserer Verantwortung, die drei Ringe in harmonischen Dreiklang zu bringen und Lessings Botschaft endlich in die Lebenswirklichkeit umzusetzen.
Nie wieder ist jetzt!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel