Verfassungsschutzbericht | | Nr. 238/24
TOP 40: Als Staat haben wir noch viel zu tun
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dankbar bin ich, dass uns der schleswig-holsteinische Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr auch Zuversicht vermittelt: Unsere Zivilgesellschaft hat sich weiterhin als ausgesprochen resilient erwiesen gegen Versuche der Einflussnahme. Die Versuche von links- oder rechtsextremistischer Seite, demokratische Demonstrationen zu unterwandern, sind erfolglos geblieben. Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, dass dies so bleibt.
Dankbar bin ich auch für die genaue Beobachtung der im Verfassungsschutz tätigen Kolleginnen und Kollegen, die akribisch ihre Erkenntnisse zusammengetragen haben.
Umso schwerer wiegt der Inhalt des Berichts: Die Anzahl der Menschen, die in Schleswig-Holstein nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung stehen, hat weiter zugenommen. Es gibt immer prägnanter agierende Organisationen und Netzwerke, die Menschen aus dem demokratischen Spektrum der Gesellschaft rüberzuziehen versuchen zu ihren extremistischen Zielen. Aus dem Ausland erfahren diese Bewegungen an einigen Stellen eine bedrohliche Unterstützung. Cyberangriffe durch staatliche oder halbstaatliche Organisationen, z.B. aus Russland oder China, stellen unsere Sicherheitsbehörden vor ganz neue Herausforderungen. Hier arbeiten Akteure systematisch und mit erheblichem Aufwand daran, unsere Demokratie zu destabilisieren.
Damit ist unser Auftrag klar: Diesen Bestrebungen müssen wir uns entgegenstellen.
Und hinsichtlich der Radikalisierbarkeit des Einzelnen müssen wir im Hinterkopf behalten, was statt vieler die forensische Psychiaterin Dr. Saimeh in einem Interview zur Messerattacke von Mannheim in der FAZ vom 14. Juni ausführt, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: „Extremistische Ideologien sind so gefährlich, weil sie intrapsychische Konflikte aufsaugen und mittels Ideologie in ein sinnstiftendes Narrativ und den Frust in berechtigte Emotionen umwandeln auf dem Weg zu einer großen Utopie. Kernthema ist immer ein „Ungerechtigkeits-Narrativ“.“
Der Rechtsextremismus verzeichnet die stärkste Steigerung. Zwar werden leicht weniger Personen der rechtsextremen Szene zugeordnet, die Zahl der Straftaten ist dagegen deutlich gestiegen. Die Mehrzahl der Taten sind Propagandadelikte. Sie haben das Ziel, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, um das Extremistische zum neuen Normal zu machen. Wer verbal brandstiftet, freut sich, wenn jemand seine Überlegungen in die Tat umsetzt. Radikalisierte Menschen, die Gewalt und Terror verüben, haben sich anfangs immer durch Worte radikalisiert.
Und nun bekommen wir mit, dass die AfD versucht, sich den 20. Juli anzueignen. Vor einigen Jahren verwendeten Rechtsradikale Aufkleber und Plakate mit einem Bild Stauffenbergs, auf denen zu lesen war „Merkel länger an der Macht als Hitler – und kein Stauffenberg in Sicht“. Wer diesen Tag bewusst für ein Vernetzungstreffen mit eben diesem vorpolitischen Raum wählt, wer sich selbst als Widerständler aus Nationalstolz inszeniert gegenüber einem angeblich schlechten, unfähigen System, den müssen wir im Auge behalten.
Die Reichsbürger und Selbstverwalter sind mehr geworden. Und wir sehen immer deutlicher die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Der Linksextremismus stagniert aktuell auf einem niedrigen Niveau, anders als im benachbarten Stadtstaat, wo die linksextremistischen Straftaten um über 50 Prozent gestiegen sind.
Der islamistische Terrorismus stellte 2023 eine große Gefahr dar und es ist absehbar, dass dies so bleibt. Das Mobilisierungspotential der dort aktiven Gruppen, teilweise durch ausländische Organisationen unterstützt, ist erheblich, gerade bei jüngeren Menschen, im Netz und auf der Straße. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es wichtig, denjenigen, der öffentlich zur Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufruft, indem er z.B. einen islamistischen Gottesstaat fordert, der unsere Demokratie in Deutschland ersetzen soll, künftig stärker Einhalt zu gebieten als bisher. Ich begrüße, dass die Justiz- und die Innenminister daran bereits arbeiten. Darüber hinaus ist es wichtig, alle bereits jetzt ohne Gesetzesänderungen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen auszunutzen. Die Hizb ut-Tahrir-Bewegung darf sich seit 2003 in Deutschland nicht mehr betätigen. Deshalb ist es unverständlich, dass die Bundesinnenministerin nicht schon längst etwas gegen diejenigen Organisationen unternimmt, die offensichtlich ideologisch eine große Nähe zu der verbotenen Bewegung aufweisen und die sehr aktiv Missionsarbeit betreiben, z.B. Muslim Interaktiv und Generation Islam.
Und zum Schluss: Die Klammer der allermeisten extremistischen Ideologien, die in Schleswig-Holstein eine Rolle spielen, ist der Antisemitismus. Nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben vielfältige Akteure diesen Terrorakt und die Geschehnisse seitdem genutzt, um ihren Hass auf Israel und jüdische Menschen in Deutschland zu propagieren. Wir möchten, dass Menschen jüdischen Glaubens wieder ohne Angst erkennbar auf die Straße gehen und ihre Religionsfreiheit leben können, von diesem Ziel rücken wir nicht ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schlussfolgerung aus dem Bericht bedeutet: Wir haben viel zu tun als Staat, in allen drei Gewalten. Lassen Sie uns als Parlament den Bericht im Innen- und Rechtsausschuss noch eingehender beraten. Vielen Dank!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel