CCS | | Nr. 44/23
TOP 33A: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu CCS berücksichtigen
Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Schleswig-Holstein soll nach dem Koalitionsvertrag von CDU und Grünen bis zum Jahr 2040 klimaneutral werden. Der Bund und ganz Europa haben sich dafür das Jahr 2045 vorgenommen. Manch einer in diesem Saal spricht sich sogar für das Jahr 2035 aus.
Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, müssen wir bis dahin unsere Energieerzeugung komplett auf erneuerbare Energien umgestellt haben, die Wärmewende muss vollständig umgesetzt sein ebenso wie die Transformation des Verkehrssektors. Äußerst schwierige Herausforderungen für einen sehr begrenzten Zeitraum.
Aber unterstellen wir einmal, dass all dieses in den nächsten knapp 20 Jahren gelingt und wir damit maximal erfolgreich sind – selbst dann wird es immer noch Bereiche gegeben, in denen CO² anfällt: Bei der Müllverbrennung, der Zement- und Chemieproduktion oder in der Landwirtschaft. Damit wären wir 2040 bzw. 2045 immer noch nicht klimaneutral.
Damit aber nicht genug. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sehen die Klimastudien vor, dass im Anschluss an die Klimaneutralität eine Phase der Negativemissionen folgt, der CO²-Anteil in der Luft somit nicht nur stabilisiert und konstant gehalten wird, sondern sogar reduziert wird. Wir müssen uns daher fragen, wie wir den unvermeidbaren CO²-Emissionen begegnen und sogar CO²-negativ werden können.
Dazu kann man Moore vernässen, Wälder aufforsten, Seegraswiesen anlegen – das sind einige sehr gute Möglichkeiten. Wir können bei Müllverbrennung und Zementproduktion das anfallende CO² abscheiden und für andere Produktionsprozesse, wie z.B. die Kunststoffproduktion nutzen. Das wäre dann CCU, Carbon Capture and Utilization.
Oder wir können das CO² aus den genannten Produktionsprozessen, aber auch aus der Luft abscheiden und unterirdisch einlagern. Das ist mit CCS, Carbon Capture and Storage gemeint. Ausgehend von den Plänen des RWE-Konzerns zur unterirdischen Lagerung von CO² im Kreis Nordfriesland vor rund 15 Jahren hat sich der Landtag seitdem mehrfach gegen CCS in Schleswig-Holstein ausgesprochen.
Zuletzt war dies mit einem einstimmigen Beschluss im Sommer des vergangenen Jahres der Fall. Wenn wir nun heute erneut darüber diskutieren. muss man sich fragen, was hat sich zwischenzeitlich verändert?
Nun, seitdem haben in Deutschland mehrere schwimmende Flüssiggas-Terminals den Betrieb aufgenommen – etwas, was dem SSW auch nicht gefällt. Seitdem wurde die Laufzeit der drei verbliebenen Atomkraftwerke zumindest bis Mitte April dieses Jahres verlängert – was auch der SSW glaube ich für richtig hält. Mit anderen Worten: Es sind Veränderungen eingetreten, die wir uns alle vor einem Jahr nicht im Geringsten hätten vorstellen können.
Was bedeutet das nur für CCS?
Im Dezember letzten Jahres hat die Bundesregierung den Evaluationsbericht zum CO²-Speicherungsgesetz beschlossen. Darin heißt es, dass die Technik zum Abscheiden, zum Transport und zur Speicherung von CO² ausgereift und erprobt ist. In diesem Jahr will die Bundesregierung darauf aufbauend ihre Carbon Management Strategie erarbeiten, um die Anwendungsgebiete für CCS und CCU festzulegen.
Bundeswirtschaftsminister Habeck ist deshalb vor drei Wochen nach Norwegen gefahren, um sich die dort bereits im Einsatz befindliche CCS-Technologie anzuschauen. Tagesschau-Online schreibt dazu: „Ampelregierung und Habeck zeigen sich offen für die CCS-Technologie, die lange Zeit vehement abgelehnt wurde.“
Meine Damen und Herren, was sagt uns die Wissenschaft zum Thema CCS?
Im März letzten Jahres hat uns das Geomar auf dem Parlamentarischen Abend der Allianz für Meeresforschung berichtet, dass CCS keine Hochrisiko-Technologie mehr ist, sondern die Risiken weitgehend minimiert werden können, geeignete Standorte in der Deutschen Nordsee vorhanden sind und dort mehrere Milliarden Tonnen CO² eingelagert werden können.
Noch bedeutsamer ist der jüngste IPCC-Bericht des Weltklimarates aus dem April 2022, der deutlich macht, dass CO² Abscheidung und Speicherung einer der entscheidenden Dekarbonisierungs-Strategien für die allermeisten Minderungspfade zum 1,5-Grad-Ziel ist.
Politische Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen zu treffen, ist spätestens seit der Corona-Pandemie gemeinsames demokratisches Verständnis. Das gilt aber nicht nur für die Gesundheitspolitik, sondern muss für alle Bereiche gelten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir letzten Sommer den Beschluss der vergangenen Jahre reflexartig wiederholt haben, haben wir diese jüngsten Entwicklungen möglicherweise noch nicht ausreichend berücksichtigt bzw. berücksichtigen können, um es einmal vorsichtig zu formulieren.
Müssen wir dazu nun heute eine Entscheidung treffen? Nein, müssen wir nicht. Wir sollten aber unsere Scheuklappen absetzen und die jüngsten Entwicklungen offen diskutieren.
Der gemeinsame Antrag von CDU und Grünen sieht deshalb die Durchführung einer Expertenanhörung in den Landtagsgremien vor und spricht sich dafür aus, die Erarbeitung der Carbon Management Strategie der Bundesregierung konstruktiv zu begleiten.
Meine Damen und Herren, es ist Ausdruck kluger Politik, einmal getroffene Entscheidungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, besonders wenn technologische Entwicklungen und Innovationen im Spiel sind. Dann müssen wir aktuelle Erkenntnisse einbeziehen und gegebenenfalls neu entscheiden. Alles andere wäre pure Ideologie. Unsere volle Unterstützung gilt deshalb der pragmatischen, ehrlichen, lösungs- und sachorientierten Klimaschutzpolitik unseres Ministerpräsidenten Daniel Günther. Herzlichen Dank!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel