Kinder- und Jugendgewalt | | Nr. 217/24
TOP 27: Kinder- und Jugendgewalt geht die gesamte Gesellschaft an
Es gilt das gesprochene Wort!
Wer die mediale Berichterstattung der letzten Zeit verfolgt hat, bekommt folgenden Eindruck: Gewalt unter Kindern und Jugendlichen wird immer häufiger, sie beginnt in einem jüngeren Alter und fällt brutaler aus. Leider täuscht dieser Eindruck nicht, vielmehr wurde er durch unsere Anhörung von Fachleuten bestätigt.
Dass in Heide im vorigen Jahr vier bis dato polizeilich unauffällige Mädchen im Teenager-Alter eine 13-Jährige regelrecht folterten und ihre Taten überdies noch filmten und ins Internet stellten, ist kein Einzelfall. Seitdem erlangen wir immer wieder Kenntnis von solchen Taten: Im März quälte in Uetersen eine Jugendbande einen 12-Jährigen und stellte den Film davon ins Netz, im Februar stach in Wuppertal ein Gymnasiast auf mehrere Mitschüler ein usw.
Was muss denn noch alles passieren, damit wir endlich gegensteuern? Wir sagen: Nichts. Genug ist genug.
Heute geht vom Schleswig-Holsteinischen Landtag, von CDU, Grünen, FDP und SSW, ein starkes Signal gegen Kinder- und Jugendgewalt aus! Gerne hätten wir die SPD noch mit an Bord gehabt. In der Zielsetzung sind wir uns auch einig, nur die Wege sind verschieden.
Als Konsequenz unserer intensiven Beratungen mit Experten haben wir einen 13-Punkte-Maßnahmenkatalog zusammengestellt. Er reicht von der Erarbeitung eines Leitfadens an betroffenen Schulen, über die fällige Aktualisierung bestehender Materialien bis zu Präventionsangeboten zum Schutz von Kindern und der Stärkung von Präventions- und Hilfeleistungen. Außerdem brauchen wir eine Schnittstelle zwischen Schule, Polizei und Jugendhilfe – dies ist auch eine der Lehren aus der schrecklichen Tat von Brokstedt: Behörden müssen kooperieren, um frühzeitig potentielle Gefahren erkennen zu können.
Ebenso halten wir eine Verbesserung der landesweiten Kooperationsstruktur von Schulen und Polizeidienststellen für geboten. Als Lehrer habe ich selbst beste Erfahrungen damit gemacht, wenn ein Polizist in einer Klasse vorbeischaut. Das ist informativ, respekteinflößend, vertrauensbildend und in Klasse 5 auch ungeheuer „cool“.
Doch bei all diesen Anstrengungen dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Sie allein werden die schleichende Verrohung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen nicht stoppen können. Wir brauchen hier mehr Engagement an vielen Stellen in unserer Gesellschaft. Das Gewaltverhalten im Elternhaus spielt zum Beispiel eine gewichtige Rolle. Wer als Kind Gewalt erlebt hat, setzt sie später als Jugendlicher auch stärker ein. So werden Unter-21-Jährige, die von ihren Eltern massiv geschlagen werden, im Schnitt fünfmal häufiger selbst zu Gewalttätern. Jugendämter müssen solchen Eltern Grenzen setzen. Und andererseits müssen überforderte Eltern Hilfe bekommen, wie sie ihre Erziehung derart verbessern, dass ihr Nachwuchs gar nicht erst auffällig wird. Was im Elternhaus schief läuft, kann später kaum noch geheilt werden.
Natürlich haben auch die Corona-Maßnahmen gravierende Folgen für Kinder und Jugendliche gehabt: Kaum Kontakte, oft isoliert auf engstem Raum, Stress – eine Kindheit im Pause-Modus, dafür viel Zeit, um „on“ – also online – zu sein. Deshalb muss der Einfluss von Medien auf unsere Kinder und Jugendlichen – allen voran von Social Media – unter die Lupe genommen werden. Die Mehrheit hat im Alter von 10 Jahren ein eigenes Smartphone und damit ungehindert Zugang zu allen Vorzügen sowie Gefahrenquellen des Netzes. Bei all den Vorteilen, die Digitalisierung mit sich bringt, halten auch mannigfaltige Gefahren Einzug in Kinderzimmer und Schulen: Pornografische Videos oder Fotos, Szenen der Tierquälerei, islamistischer oder rassistischer Content und brutalste Gewaltclips werden unreflektiert konsumiert und geteilt. Häufig von Lehrkräften und Elternhäusern vollkommen unbemerkt. Also müssen wir uns auch für dieses Problemfeld Maßnahmen überlegen.
Und wir brauchen mehr Alliierte. Kinder und Jugendliche müssen von möglichst vielen ihrer Autoritäten deutlich gemacht bekommen, das Gewalt nicht akzeptiert, sondern geächtet wird. Das kann der Trainer im Verein sein, die Influencerin in den sozialen Medien oder Ikonen der Musikbranche. Es ist also noch viel zu tun und der Weg wird kein leichter sein. Doch unsere Maßnahmen im Antrag sind ein Anfang. Deshalb bitte ich um Zustimmung.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel