Ukraine-Notkredit | | Nr. 315/22
TOP 24: Wir müssen handlungsfähig bleiben
Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen besteht eine außergewöhnliche Notsituation gemäß Artikel 61 Absatz 3 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein.
Meine Damen und Herren, das ist keine neue Feststellung, sondern genau diesen Beschluss hat der Schleswig-Holsteinische Landtag bereits am 27. April dieses Jahres getroffen – und zwar einstimmig – und hat damit 400 Millionen Euro an Notkrediten für die Bewältigung der finanziellen Folgen des Krieges in der Ukraine bereitgestellt. An dieser Notsituation hat sich bis heute nichts geändert.
Ganz im Gegenteil: Die direkten und indirekten Belastungen für den Landeshaushalt sind zwischenzeitlich erheblich gewachsen, weshalb mit dem vorliegenden Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und SSW der Notkreditrahmen um eine Milliarde auf dann 1,4 Milliarden Euro aufgestockt werden soll.
Es zeichnet Schleswig-Holstein aus, dass wir in Krisenzeiten politisch zusammenstehen. Wie schon in der Corona-Pandemie übernehmen auch in der jetzigen Krise Regierungs- und Oppositionsfraktionen gleichermaßen Verantwortung. Mein Dank dafür gilt den Fraktionen von SPD und SSW. Das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit.
Das gilt umso mehr, als dass die Koalitionsfraktionen von CDU und Grünen über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügen. Beide Oppositionsfraktionen könnten sich daher einen schlanken Fuß machen und sich der Verantwortung entziehen, ohne dass sich daraus irgendwelche Folgen ergeben würden. Dem erforderlichen Notkredit dennoch zuzustimmen, beweist in besonderem Maße staatspolitische Verantwortung. Dieses Verhalten verdient besonderen Respekt.
Nun stehen den gewachsenen Belastungen des Landeshaushaltes erfreuliche Steuerschätzungen aus dem Mai und Oktober gegenüber. Es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, dass sich mit diesen zusätzlichen Steuereinnahmen die Folgen des Ukrainekrieges bewältigen ließen.
Wer davon ausgeht, der übersieht oder blendet vielleicht auch bewusst aus, dass der Haushalt 2022, wie ihn die Jamaika-Koalition im vergangenen Jahr mit den Stimmen von CDU, Grünen und FDP beschlossen hatte, mit neuen Schulden finanziert werden sollte.
503 Millionen Euro aus dem Corona Notkredit sollten dieses Jahr die erwarteten strukturellen Steuermindereinnahmen ausgleichen. Daneben ist von dem im Jahr 2020 zur Bewältigung der Corona-Pandemie aufgenommenen Konjunkturkredit noch ein Restsaldo von rund 120 Millionen Euro offen, der bei konjunkturell bedingten Steuermehreinnahmen – wie wir sie in diesem Jahr erleben – als erstes umgehend zu tilgen ist.
Diesen zusammen 623 Millionen Euro an geplanten neuen Schulden und zu tilgenden alten Schulden stehen nunmehr die prognostizierten Steuermehreinnahmen nicht von über 800 Millionen Euro, sondern nach Abzug des kommunalen Finanzausgleichs von rund 680 Millionen Euro gegenüber. Mit anderen Worten: Von den Steuermehreinnahmen bleibt kaum etwas übrig, um daraus in diesem Jahr die Belastungen des Ukraine-Krieges zu finanzieren.
Die nach der Steuerschätzung zu erwartenden Steuermehreinnahmen reduzieren stattdessen die Verschuldung des Landes. Das ist die gute Botschaft der Steuerschätzung: Verzicht auf neue Schulden aus dem Corona-Notkredit und vollständige Tilgung des Konjunkturkredites.
Wer, bitte schön, hätte zu Beginn der Corona-Krise gedacht, dass wir den aufgenommenen Konjunkturkredit über 700 Millionen Euro innerhalb von nur zwei Jahren vollständig zurückzahlen können?
Und wenn von dem 5,5 Milliarden Euro Corona-Notkredit am Ende der Pandemie nur 2,5 Milliarden Euro in Anspruch genommen werden und drei Milliarden Euro getilgt werden, dann ist das der Beweis dafür, dass wir für die Bewältigung der Corona-Pandemie nur so viel Geld ausgegeben haben, wie es zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt unbedingt notwendig erschien.
Mit den Regelungen der Schuldenbremse im laufenden Haushalt einschließlich Konjunkturausgleichskonto, der vorzeitigen Abrechnung des Corona-Notkredites und der zeitlich überlappenden Aufnahme des Ukraine-Notkredites ist das zwar alles haushaltstechnisch überaus komplex. Zugegeben!
Aber im Unterschied zum Bund trennen wir die einzelnen Sachverhalte so transparent wie möglich voneinander. Genau das macht finanzielle Solidität in schwierigen Zeiten aus!
Meine Damen und Herren, wofür braucht es nun eine Aufstockung des Ukraine-Notkredits um eine Milliarde Euro?
Die Aufstockung des Ukraine-Notkredites im kommenden Jahr ist deshalb erforderlich, weil die aus dem Ukraine-Krieg resultierenden Lasten auch im kommenden Jahr nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden können. So einfach ist die Wahrheit!
Die für das kommende Jahr vorhergesagten Steuermehreinnahmen dienen zunächst einmal dazu, den Haushalt ohne den nicht mehr vorhandenen – weil vorzeitig abgerechneten – Corona-Notkredit auszugleichen. Das dürfen wir nämlich nicht vergessen: Auch für 2023 war ursprünglich geplant, vermutete Steuerausfälle durch Mittel aus dem Corona-Notkredit zu kompensieren. Die Einnahmen aus der Steuerschätzung stehen deshalb jetzt nicht zusätzlich zur Verfügung, sondern ersetzen im kommenden Jahr erneut den Corona-Notkredit.
Darüber hinaus ergeben sich aber zusätzliche Belastungen für den Landeshaushalt durch die Einführung des 49-Euro-Deutschlandtickets, durch den Abbau der Kalten Progression, durch die Erhöhung des Kindergelds, durch steigende Zinsen, durch den diesjährigen Tarifabschluss für Beschäftigte im Kita-Bereich, der die Tätigkeit der Sozial- und Erziehungsdienste bewusst aufwertet, durch steigende Schülerzahlen und durch stark steigende Ausgaben für die Eingliederungshilfe.
All das sind Mehrausgaben, die nicht unmittelbar mit dem Ukraine-Krieg im Zusammenhang stehen und deshalb aus dem laufenden Haushalt finanziert werden müssen – was wir auch tun werden.
Da sich aber allein die genannten Positionen auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag aufsummieren, gelingt der Haushaltsausgleich im kommenden Jahr nur mit Hilfe einer konjunkturell bedingten Kreditaufnahme über knapp 350 Millionen Euro.
Dieser Konjunkturkredit ist nach dem Regelwerk der Schuldenbremse zulässig, so wie das auch 2020 der Fall war. Deshalb wird die Schuldenbremse in Schleswig-Holstein nicht ausgesetzt oder gar abgeschafft, sondern dieser Konjunkturkredit wird erneut auf dem Konjunkturausgleichskonto verbucht – das sich ja dank der Tilgung in diesem Jahr auf Null befindet – und muss dann in den kommenden Jahren bei guter konjunktureller Entwicklung wieder umgehend getilgt werden.
Damit ist der Haushalt 2023 dann zwar ausgeglichen, aber woher kommt dann das Geld für die Aufnahme und Unterbringung der erwarteten Ukraine-Flüchtlinge, für die Ausweitung des Wohngeldes, für krisenbedingt steigende Energiekosten, für die Entlastungsmaßnahmen des Landes und nicht zuletzt für die Beteiligung des Landes an den Entlastungsmaßnahmen des Bundes?
All diese Ausgaben können nicht aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden und deshalb befindet sich Schleswig-Holstein in einer finanziellen Notsituation, die nur durch die Aufnahme eines Notkredites abgewendet werden kann.
Belaufen sich nun die krisenbedingt zu erwartenden Mehrausgaben auf 1,4 Milliarden Euro?
Nein, das tun sie – soweit absehbar – zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Aber umgekehrt kann auch niemand mit Gewissheit vorhersagen, mit welchen Belastungen in den kommenden beiden Jahren aufgrund des Kriegsgeschehens noch zu rechnen ist.
Nur ein Beispiel: Am 8. November wurde der Tarifabschluss für das private Busgewerbe verkündet. Demnach kommt es dort im nächsten Jahr zu einer tabellenwirksamen Erhöhung um 8,5 Prozent. Angesichts der aktuellen Inflationsrate ist das auch nicht unbedingt überraschend. Der Omnibusverband Nord erklärte darauf hin, dass noch unklar sei, wie der neue Tarifabschluss finanziert werden soll. Zitat: „Wir sind darauf angewiesen, dass insgesamt im Land erkannt wird, dass es ohne Fahrpersonal kein Busfahren gibt.“ Zitatende
Nun kann man an dieser Stelle sagen, Busverkehr ist Sache der Kommunen, damit haben wir als Land nichts zu tun. Aber schon allein dieser eine Tarifabschluss lässt erahnen, was da alles im nächsten Jahr noch Unvorhergesehenes auf uns zukommen kann.
Deshalb sorgen wir mit der Aufstockung des Notkredites um 1 Milliarde Euro entsprechend vor, damit unser Land in diesen Krisenzeiten jederzeit handlungsfähig bleibt. Meine Damen und Herren, das ist in diesen Zeiten wichtiger denn je!
Für uns als CDU-Fraktion ist dabei aber auch klar: Der Ukraine-Notkredit wird genauso wie der Corona-Notkredit nur so weit in Anspruch genommen, wie es die Lage zum jeweiligen Zeitpunkt erfordert.
Um dieses zu gewährleisten, stehen alle Ausgaben unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Finanzausschuss. Der Ukraine-Notkredit ist also keine Blankovollmacht, sondern es bedarf in jedem Einzelfall einer parlamentarischen Zustimmung.
Die nicht benötigten Mittel werden Ende 2024 für eine Sondertilgung eingesetzt. Ebenfalls im Jahr 2024 beginnt die Tilgung des Corona-Notkredites mit dem aufgrund des reduzierten Kreditvolumens angepassten Tilgungsbetrag von 30 Millionen Euro. Zwei Jahre später steigt dieser Tilgungsbetrag dann auf 50 Millionen Euro jährlich, um damit auch den Ukraine-Notkredit zurückzuzahlen.
Diese Entscheidung für die Aufnahme dieser Summe fällt uns allen nicht leicht, aber sie ist in der jetzigen Lage notwendig.
Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine treffen uns hart und sind noch weitaus gravierender als die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Zumal diese mit den ausgelösten Lieferkettenproblemen und Personalengpässen in vielen Bereichen immer noch nachwirkt.
Mit 1,4 Milliarden Euro beträgt der Ukraine-Notkredit dennoch nur rund ein Viertel des in der Corona-Pandemie beschlossenen Notkredites. Auch dieser Vergleich zeigt, dass wir hier mit Augenmaß vorgehen.
Formulierungen, dass sich die Landesregierung mit dem Ukraine-Notkredit „die Taschen vollmachen würde“, sind deshalb vollkommen falsch.
Einen solchen Sprachgebrauch kennen wir eigentlich nur aus dem nicht-demokratischen Spektrum. Bei allen Unterschieden in den politischen Positionen sollten wir deshalb darauf achten, dass wir demokratische Entscheidungen nicht mit derartigen Formulierungen diskreditieren. Ansonsten ist das nur Wasser auf die Mühlen der Feinde unserer Demokratie, und daran können wir alle gemeinsam kein Interesse haben.
Meine Damen und Herren, ich bitte deshalb um Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag. Vielen Dank!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel