Europa | | Nr. 150/19
(TOP 22,24,25,35) Nur gemeinsam ist Europa stark!
Es gilt das gesprochene Wort
Anrede,
in diesen Tagen bewegt uns alle die Zukunft der Europäischen Union bei den Berichten aus Brüssel und vor allem London zum Ausstiegsstichtag 12. April 2019 in ganz besonderer Weise. Und wir stellen uns die Fragen: Wie entwickelt sich unser Europa weiter? Wie soll unser Europa der Zukunft aussehen?
Die Diskussion um den Brexit steigert Woche für Woche unser Unverständnis, wie die britische Regierung und das britische Unterhaus mit diesem so wichtigen Thema für das Vereinigte Königreich und für die EU umgeht. Offensichtlich bestimmen in erster Linie Macht und Ränkespiele das Geschehen. Dabei müsste doch eigentlich inzwischen jedem bewusst sein: Bei einem ungeregelten Brexit gibt es auf allen Seiten nur Verlierer! Zudem bestünde die große Gefahr, dass der beigelegte bürgerkriegsartige Nordirlandkonflikt, der noch bis ins Jahr 1998 andauerte und rund 3500 Tote und viele Verletzte gefordert hat, erneut auflebt. Verantwortung und Besonnenheit sind deshalb gefordert.
Ich bin mit einer Engländerin verheiratet. Sie glauben mir sicherlich, dass mich dieses Thema in besonderer Weise umtreibt und auch emotional berührt. Wir haben hier im Haus den Brexit in den letzten Plenartagungen umfänglich diskutiert. Da immer noch nicht klar ist wohin die Reise geht, bleibt das Thema auf der Tagesordnung.
Die 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten der EU wollen einen geregelten Brexit. Sie sind in den 2-jährigen Verhandlungen dem UK weitestgehend entgegengekommen. Sie haben sich aber letztendlich bis heute nicht auseinanderdividieren lassen, sondern stehen zusammen. Dieses ist eine große Leistung angesichts unterschiedlicher Interessen. Das beweist, dass die EU sehr wohl auch in schwierigen Fragen geeint und handlungsfähig ist.
Dieses macht auch Mut für die Zukunft und für die Gestaltung der EU nach einem wie auch immer gearteten Ausstieg des Vereinigten Königreiches. Dass wir uns anders aufstellen müssen ist uns allen klar. Zu wenig kommen die großen Erfolge der EU im Bewusstsein der Bürger an. Zu sehr besteht der Eindruck - gelegentlich sicher auch berechtigt – dass ein großer bürokratischer Apparat in Brüssel in viele Details des Lebens, lieb gewonnenen Gewohnheiten oder gar Traditionen hineinregiert.
Unbestritten ist aber auch, dass uns diese Europäische Union im Kerneuropa eine noch nie dagewesene Periode des Friedens von inzwischen 74 Jahren erst ermöglich hat. Ganze zwei Generationen sind von diesem Leid verschont geblieben. Nur von alten Großeltern können wir heute noch als direkte Zeitzeugen erfahren, wie furchtbar Kriege sind. Verlust von Mann, Frau, Kindern, Geschwistern. Krankheit und schwerste Verletzungen. Flucht und Vertreibung. Zerstörung, Hunger und Not. Diese persönliche Erfahrung geht verloren. Bilder, Berichte und Filme kommen abstrakt daher. Von daher schwindet offensichtlich auch die Bedeutung, welch einen hohen Wert dieser Frieden für jeden von uns hat. Welch großartige Leistung haben die Architekten der EU vollbracht!
Heute leben wir in stabilen, politischen Verhältnissen und großem Wohlstand. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand und Freizügigkeit sind unverzichtbare Grundwerte des geeinten Europas. Ein Ergebnis der europäischen Politik. Viele Menschen anderer Staaten schauen beeindruckt auf dieses Europa. Leider müssen wir feststellen, dass diese Werte nicht in allen Mitgliedsstaaten gleichrangig eingestuft werden und nationale Sichtweisen stärker werden. Wir sollten alles tun – im Kleinen und Großen -, die bisher erreichten Ziele auszubauen und zu festigen, um den neuen Entwicklungen klug zu begegnen.
Anrede,
Auf einige Ansätze im Großen zielt unser Jamaikaantrag ab. Wir wissen sehr wohl, dass die beschriebenen Ziele nicht in Schleswig-Holstein bewegt werden, aber auch von hier angestoßen und unterstützt werden können. Wir sind überzeugte Europäer und wir brauchen Reformen, um die EU für die Zukunft fit zu machen und um die Bürger stärker mitzunehmen. Was wollen wir?
Eine europäische Verfassung, die noch stärker unsere gemeinsamen Grundwerte betont, wäre dafür als Grundlage ein idealer Ansatzpunkt. Das wird nicht einfach, es ist aber einen Versuch wert.
Das Europaparlament sollte stärker als bisher als echtes Parlament wahrgenommen werden. Dazu gehören mehr Eigenständigkeit und mehr Rechte. Ein umfängliches Initiativrecht wäre hierfür ein wichtiges Element.
Es ist einfach, jedem Mitgliedsland einen Kommissar zuzusprechen. Ob dieses einer optimalen Arbeitsstruktur entspricht, bezweifle nicht nur ich. Neue effektivere Strukturen bei einer gleichzeitigen Verkleinerung der Kommission sollten das Ziel sein.
Die Wahlen zum Parlament müssen interessanter für die Bürger werden. Ein Spitzenkandidatensystem, dass sich seit der letzten Europawahl erstmals entwickelt hat, wäre ein guter Weg. Köpfe mit Inhalten zu verknüpfen führen zu einer stärkeren Wahrnehmung.
Um die Bürger bei Entscheidungen stärker einzubeziehen, müssen wir ihnen mehr Möglichkeiten bieten mitzumischen. Die digitale Welt bietet dazu neue, leichte Möglichkeiten, die ausgebaut werden sollten. Auch Informationen können leichter und verständlicher erfolgen.
Schließlich müssen wir den Wert und die Umsetzung der Rechtstaatlichkeit in jedem Mitgliedsland stärker in den Fokus nehmen. Sie sind ein wichtiges Element unserer Grundwerte und dürfen nicht nach Beliebigkeit ausgedehnt und interpretiert werden. Wer von wirtschaftlichen Vorteilen profitiert, muss sich auch an vereinbarte Grundregeln halten. Wir erwarten die Einführung von Mechanismen, die dieses stärker sicherstellen.
Dieses sind Ideen, um in einen Reformprozess einzusteigen. Es gibt sicher weitere, gute Ideen, um diesen Prozess zu beginnen.
Anrede,
Die SPD hat heute auch eine umfangreiche Liste ihrer Vorstellungen zur EU in die Debatte eingebracht. Der Antrag entspricht einer verkürzten Version des Wahlprogramms für die Europawahl. Es ist daher sicher nachvollziehbar, dass wir dem so nicht einfach zustimmen können. Wir sehen Punkte zur Sozialpolitik höchst kritisch. Eine Vereinheitlichung einer Sozialgesetzgebung halten wir zudem für irreal. Es gibt aus unterschiedlichen Gründen sehr unterschiedlich gewachsene Sozialstandards in den Mitgliedstaaten. Einmal schlechter, einmal besser für die Betroffenen. Auch die Finanzierung ist sehr unterschiedlich. In diese Strukturen aus unserer Sichtweise einzugreifen hält die CDU für nicht umsetzbar und falsch. Andererseits gibt es zahlreiche Punkte, bei denen wir schnell Einigkeit erzielen können. Von daher macht eine weitere Beratung im Ausschuss Sinn.
Die AfD beteiligt sich an der Debatte lediglich mit einem Antrag zum Wahlkampf. Selbstverständlich stehen wir zu einem fairen Wahlkampf ohne extremistische Übergriffe. Ein Wettstreit über Meinungen und Ideen ist Kernelement unserer Demokratie und muss gewaltfrei möglich sein. Unser Antrag bestärkt dieses.
Anrede,
Europapolitik im „Kleinen“ findet dann schließlich auf unserer Landesebene statt. Wir haben keine europäische Gesetzgebungskompetenz. Wir können aber durch unser Mitwirken Einfluss nehmen. Durch Austausch mit unseren Europaabgeordneten, durch aktive Wahrnehmung der Subsidiaritätsprüfung bei Richtlinienentwürfen der EU, durch die Beteiligung am Ausschuss der Regionen und durch Besuche und Gespräche bei Institutionen in Brüssel und Berlin.
Der Europabericht 2018-2019 der Landesregierung zeigt vielfältige Aktivitäten im Konkreten auf. Vielen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich einmal mehr die Mühe gemacht haben, diese Ergebnisse schriftlich zusammenzuführen Es bleibt leider wenig Zeit darauf intensiv einzugehen. Deshalb beschränke ich mich auf zwei Punkte, die mir wichtig sind.
1. Der direkte Kontakt und Austausch mit Parlamentariern des Ostseeraumes in der Ostseeparlamentarierkonferenz und im Parlamentsforum Südliche Ostsee sind eine Bereicherung für gemeinsame Projekte und die Diskussion. Aktuelle Themen werden aus unterschiedlichen Sichtweisen diskutiert und Ergebnisse in die jeweiligen Parlamente getragen. Der direkte Kontakt fördert und festigt Beziehungen und Vertrauen.
2. Unser direkter Nachbar Dänemark bleibt unser Partner Nummer eins. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Arbeit der Minderheitenverbände beidseits der Grenze haben europaweit Vorbildcharakter. Ich danke unserer Europaministerin Sütterlin-Waack, dass sie gezielt im Europabericht auf die bevorstehenden Schwierigkeiten hinweist, die durch die Regionalreform in Dänemark entstehen. Da die Regionen in Dänemark mit ihren Befugnissen bis Ende 2020 defacto abgeschafft werden, wird es große Probleme bei der Fortführung der zahlreichen INTERREG-Projekte geben. Viele Kontakte, die über die Grenze in den Regionen entstanden sind, werden geschwächt. Noch gibt es keine Lösung, wie dieses Wegbrechen aufgefangen werden kann. Es trifft die Zusammenarbeit aber erheblich. Es wäre verheerend, wenn unser Einsatz für die INTERREG-Mittel auf diese Weise teilweise ausgebremst werden würden.
Wir wollen eine starke und wachsende Zusammenarbeit im Grenzraum, um den europäischen Gedanken im „Kleinen“ zu gestalten. Dafür setzen wir uns ein.
Nur ein geeintes Europa wird in Zukunft im internationalen Spiel der Kräfte eine bedeutende und angemessene Rolle spielen. Nur gemeinsam sind wir stark.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel