Corona | | Nr. 380/20
TOP 1+37+44: Gemeinsam die Krise mit Akzeptanz und Vertrauen meistern
Es gilt das gesprochene Wort!
Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Lage ist ernst. Und die Lage ist vor allem weitaus ernster als im Frühjahr. Das ist uns in Schleswig-Holstein vielleicht noch nicht so richtig bewusst, weil unser Infektionsgeschehen nach wie vor deutlich niedriger ist als im übrigen Bundesgebiet.
Wenn wir aber einmal den Vergleich zum Frühjahr ziehen, dann hatten wir am 13. März, als wir das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren haben, als wir Schulen und Kitas geschlossen haben, gerade einmal 46 bestätigte Corona-Fälle bei uns im Land.
Heute sind es 1.929 Fälle – das ist das 50fache - und die Kurve geht auch bei uns in Schleswig-Holstein steil nach oben.
Und wenn es zu Beginn der zweiten Welle vor allem jüngere und damit gesündere Menschen waren, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, so hat das Virus mittlerweile auch wieder die Alten- und Pflegeheime erreicht.
Es ist deshalb nicht allein die hohe Zahl der positiven Testergebnisse, die besorgniserregend ist. Auch die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten geht wieder nach oben. Wir können froh sein, dass die aufgestockten Kapazitäten an Intensivbetten und Beatmungsgeräten hier noch ausreichend freien Platz bieten. Das sieht in einigen Regionen Deutschland aber schon deutlich kritischer aus.
Das alles lässt sich im Übrigen nicht damit erklären, dass jetzt mehr getestet wird als im Frühjahr und dass dabei eine Fehlerquote von 1 bis 2 Prozent besteht. Diese Fehlerquote gilt schließlich für positive und negative Test gleichermaßen. Es wäre deshalb absurd zu glauben, dass die hohe Zahl von positiven Testergebnissen allein auf dieser Fehlerquote beruhen würde.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei den über eine Million negativen Testergebnissen pro Woche bundesweit weitere 10 bis 20 Tausend Erkrankte unerkannt bleiben und das Virus anschließend ohne Quarantänemaßnahmen und ohne Kontaktnachverfolgung im Land verbreiten.
Die gesundheitliche Lage ist deshalb um ein Vielfaches besorgniserregender als im Frühjahr. Eine Kontaktnachverfolgung ist in weiten Teilen der Bundesrepublik nicht mehr zu bewältigen. Die Pandemie ist damit bereits außer Kontrolle geraten. Eine Überlastung des Gesundheitssystem mit fehlenden Intensivbetten und Beatmungs-kapazitäten ist damit nur eine Frage von wenigen Wochen, wenn wir nicht eingreifen.
Deshalb muss jetzt konsequent und entschlossen gehandelt werden.
Meine Damen und Herren, die gestern beschlossenen Maßnahmen kommen dabei dem Lockdown vom Frühjahr sehr nahe.
Das ist überaus schmerzlich. Wir hätten uns sicherlich alle gewünscht, dass wir einen zweiten derartigen Einschnitt vermeiden könnten. Daran haben wir in Schleswig-Holstein in den letzten Monaten hart gearbeitet.
Gerade weil diese Hoffnung jetzt enttäuscht wird, will ich aber doch auf einige wesentliche Unterschiede gegenüber dem Frühjahr hinweisen, die allesamt dazu dienen, die negativen Folgen dieser Einschränkungen möglichst zu minimieren.
Schulen und Kitas bleiben weiter offen. Alle mit einer Schließung für die Familien verbundenen Belastungen bei der Kinderbetreuung werden damit vermieden. Außerdem werden damit Lerndefizite verhindert, wie wir sie im letzten Schuljahr in der Zeit des sogenannten „Homeschooling“ erlebt haben.
Ich finde, das ist ein ganz entscheidender Unterschied, mit dem wir eine wichtige Lehre aus den Erfahrungen des Frühjahrs ziehen.
Zweiter großer Unterschied: Alle Geschäfte bleiben weiterhin geöffnet. Das reduziert die wirtschaftlichen Folgen erheblich und ist mit der zwischenzeitlich eingeführten Maskenpflicht im Einzelhandel, die es im März und April damals noch nicht gab, auch vertretbar.
Drittens bleibt eine Vielzahl von Aktivitäten weiterhin erlaubt, die im März zunächst einmal allesamt verboten waren: Individualsport, Gottesdienste, Büchereien, Physiotherapie und Volkshochschulen bleiben jetzt zulässig bzw. geöffnet.
Das sind alles Bereiche, die wir im April / Mai als Erstes wieder zugelassen haben, weil wir damals schnell gemerkt haben, dass es hier Probleme gibt bzw. Regelungen nicht sinnvoll oder unverhältnismäßig waren. Auch hier ziehen wir also Lehren aus den gemachten Erfahrungen.
Bevor wir deshalb jetzt von einem zweiten Lockdown sprechen, sollten wir uns bewusst sein, dass es diese erheblichen Unterschiede gibt.
Andere europäische Länder erfahren dagegen derzeit einen Lockdown, der noch weit über das hinausgeht, was gestern beschlossen worden ist und was wir im Frühjahr erlebt haben.
Für 46 Millionen Franzosen gilt derzeit eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens. Während dieser Zeit dürfen sie sich nicht auf der Straße aufhalten. Sie dürfen nicht joggen, nicht mit dem Hund gassi gehen, sondern müssen alle Aktivitäten so rechtzeitig beenden, dass sie pünktlich um 21 Uhr wieder zu Hause sind.
Was derartige Eingriffe für die menschliche Psyche, für Themen wie häusliche Gewalt aber eben auch für die wirtschaftlichen Entwicklung bedeuten, das kann derzeit niemand absehen.
Bei solch harten Maßnahmen hätten wir es mit einer ganz anderen Dimension zu tun, als das was wir heute diskutieren. Damit wir solche Ausgangssperren in Deutschland hoffentlich nie erleben, müssen wir jetzt aber schnell und entschieden gegensteuern. Sonst sind wir in ein paar Wochen auch dort, wo Frankreich, Spanien und die Niederlande bereits heute angelangt sind.
Meine Damen und Herren, seit Beginn der Corona-Pandemie versuchen Bund und Länder die damit verbundenen finanziellen Folgen für die Menschen, für Arbeitnehmer und Betriebe so gut es geht auszugleichen.
Die dafür eingesetzten finanziellen Mittel liegen bereits jetzt im dreistelligen Milliardenbereich. Das zieht einen sprunghaften, massiven Anstieg der Staatsverschuldung nach sich.
Meine größte Sorge war deshalb, dass sich das bei einem erneuten Lockdown nicht beliebig wiederholen lassen würde.
Dass der Bund nun nach dem gestrigen Beschluss für alle Unternehmen, Selbständige, Vereine und Einrichtungen, die temporärer geschlossen werden, einen finanziellen Ausgleich von 75% des Umsatzes vornimmt, hätte ich im Vorfeld nicht für möglich gehalten.
Auch wenn der Ausgleich für größere Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern auf 60 bis 75 Prozent reduziert wird, beziehen sich auch diese Prozentsätze immer noch auf den Umsatz und nicht etwa auf die anfallenden Kosten oder auf den Gewinn.
Ich bin mir sicher, dass mit dieser Regelung die allermeisten betroffenen Restaurants, Hotels, Kinos, Freizeiteinrichtungen, Fitnessstudios, Massagepraxen usw. finanziell besser dastehen werden, als es ohne den Lockdown im Monat November der Fall gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, wie groß die finanziellen Anstrengungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie sind, zeigt auch der Beschluss über das Notkreditprogramm von 4,5 Milliarden Euro allein für unser Bundesland, den wir am morgigen Freitag treffen wollen.
Diesen Kraftakt zur Bewältigung der Corona-Krise macht ein historischer Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition möglich.
Es ist die Schuldenbremse in unserer Landesverfassung, die uns zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die Notkreditaufnahme zwingt und das ist auch gut so. Das zeigt wie sinnvoll die Schuldenbremse auch jetzt in der Krise ist.
In Hessen dagegen klagt die Opposition vor dem Staatsgerichtshof gegen das Corona-Sondervermögen der Landesregierung. Ein derartiger Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang ist mitten in der Krise nun wirklich das Allerletzte was man gebrauchen kann.
Deshalb lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen und würdigen, dass wir in Schleswig-Holstein einen anderen Weg gehen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir für die Menschen bei uns im Land das Beste erreichen, indem wir uns verständigt haben und damit gemeinsam Verantwortung für die Bewältigung der Krise übernehmen.
Wir geben damit Sicherheit, wir lindern Notlagen und wir bekämpfen die Wirtschaftskrise, indem wir Investitionen absichern und weitere Investitionen auf den Weg bringen.
Meine Damen und Herren, so sehr man bei diesem Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition zu Superlativen neigt, so sehr ist diese Vereinbarung in den vergangene vier Wochen aber auch schon wieder von der Realität und der dynamischen Krisenentwicklung überholt worden.
Die Zahlen des Notkreditprogramms basieren allesamt auf der September-Steuerschätzung, die für das kommende Jahr eine deutliche wirtschaftliche Erholung vorhergesagt hatte.
Ein erneuter Lockdown war dabei nicht vorgesehen. Jetzt steht zu befürchten, dass weitere Kreditaufnahmen erforderlich werden könnten.
Die direkten Ausgleichszahlungen finanziert zwar der Bund. Die negativen Auswirkungen auf die Konjunktur werden aber auch in Schleswig-Holstein zu geringeren Steuereinnahmen führen, die dann wiederum nur über zusätzliche Kredite ausgeglichen werden können.
Meine Damen und Herren, noch viel schlimmer wäre es allerdings, wenn wir die Pandemie nicht in den Griff bekommen. Die finanziellen Folgen einer Situation, wie wir sie in anderen europäischen Ländern bereits heute erleben, wären noch viel verheerender.
Auch aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen müssen wir deshalb das ungebremste Infektionsgeschehen schnellstmöglich stoppen.
Es ist fünf vor Zwölf, liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings nicht fünf Minuten, sondern fünf Sekunden vor Zwölf!
Vor gerade einmal vier Wochen hatte die Bundeskanzlerin vor 19.200 Neuinfektionen pro Tag in der Weihnachtszeit gewarnt. Jetzt haben wir diese Größenordnung fast erreicht und bis Weihnachten ist es noch zwei Monate hin.
Wer in dieser Situation die Apelle der Kanzlerin als Verzweiflungstat kritisiert, der hat die ganze Dramatik immer noch nicht begriffen. Wenn etwas die Bundeskanzlerin zur Verzweiflung treibt, dann ist es vermutlich genau solch ein parteipolitisches Agieren mitten in der Krise.
Angela Merkel war die ganz Zeit über immer am vorsichtigsten von allen und hat vor genau dieser Entwicklung eindringlich gewarnt.
Jedes Mal wurden ihre Vorschläge aber in der Ministerpräsidentenkonferenz abgeschwächt und verwässert.
Die Bundeskanzlerin wolle nicht rechthaberisch klingen, schrieb die Bildzeitung am Montag im Nachgang zur Videokonferenz der CDU/CSU Fraktionsvorsitzenden. Auch das spricht für Angela Merkel. Vielleicht sollten wir Männer aber auch einfach mal eingestehen, dass sie die ganze Zeit über Recht hatte.
Was haben wir stattdessen erlebt? Vor zwei Wochen verkündete NRW „harte“ Maßnahmen. Private Feiern im öffentlichen Raum wurden auf maximal 50 Teilnehmer begrenzt. Bis Ende Oktober blieben aber Feiern mit bis zu 150 Personen zulässig, wenn diese vor dem 10. Oktober angemeldet worden waren.
Meine Damen und Herren, bei uns in Schleswig-Holstein waren private Feiern in geschlossen Räumen mit mehr als 50 Personen zu keinem Zeitpunkt während der gesamten Corona-Krise zugelassen. Musste das in Nordrhein-Westfalen wirklich sein?
Noch schlimmer allerdings in Berlin. Auch dort titelte die Berliner Zeitung zwar am 1. September: „Berlin verschärft Corona-Regeln für private Feiern“. Aber worin bestand diese Verschärfung? Ab einer Teilnehmerzahl von 50 Personen wurde nun ein Hygienekonzept vorgeschrieben.
Ein Hygienekonzept brauchte man in Schleswig-Holstein für private Feiern mit weniger als 50 Personen und nicht erst darüber hinaus.
Für die Teilnehmerzahl von privaten Feiern galt in Berlin auch nach dieser „Verschärfung“ die Obergrenze von 750 Teilnehmern in geschlossen und von sage und schreibe 5.000 Personen in offenen Räumen.
Wer bitte schön braucht in Corona-Zeiten private Feiern mit 5.000 Teilnehmern? Was hat sich Rot-Rot-Grün in Berlin bloß dabei gedacht? Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Infektionszahlen anschließend nach oben schnellen, und Berliner Stadtteile zu Hotspots werden.
Und wenn wir dann in Schleswig-Holstein Quarantänemaßnahmen für Touristen aus Berlin einführen, dann führt das zu großen öffentlichen Diskussionen, nur weil davon auch Robert Habeck betroffen gewesen wäre.
Ich muss sagen, für diese Diskussionen hatte ich überhaupt kein Verständnis.
Schleswig-Holstein gehört zu den drei Bundesländern mit dem niedrigsten Infektionsgeschehen und gleichzeitig ist unser Regelwerk eines der strengsten in der ganzen Republik. Das ist doch kein Zufall, meine Damen und Herren.
Ich würde sagen: Da haben wir in den letzten Monaten eine ganze Menge richtig gemacht. Darauf können wir stolz sein und an dieser Vorgehensweise sollten wir deshalb auch weiter festhalten.
Wenn wir dennoch heute von einem bundesweiten Lockdown betroffen werden und darunter zu leiden haben, dann erscheint uns das allen verständlicherweise als ungerecht.
Deshalb finde ich müssen auch die politischen Verantwortlichen dafür klar benannt werden. Das was wir an übertriebenen und zum Teil verantwortungslosen Lockerungsmaßnahmen in anderen Bundesländern in den letzten Monaten erlebt haben, das darf sich einfach nicht wiederholen.
Wenn diese Lehre nicht gezogen wird, dann sind wir auch nach dem Lockdown im November in ein paar Monaten wieder an der gleichen Stelle wie heute.
Das große Plus der gestrigen Einigung ist deshalb die Einstimmigkeit der Entscheidung. Zum ersten Mal haben sich alle Bundesländer in der Ministerpräsidentenkonferenz auf ein gemeinsames Handeln verständigt.
Das mag uns in Schleswig-Holstein jetzt wie gesagt ungerecht erscheinen, weil die Maßnahmen angesichts unserer vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen teilweise unverhältnismäßig hart ausfallen.
Aber gerade wir Schleswig-Holsteiner haben uns in der Vergangenheit immer wieder über den Flickenteppich der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern beklagt. Wir haben immer für möglichst einheitliche Regelungen geworben.
Allein schon darin besteht ein ganz großer Wert der gestrigen Einigung. Und ich will wirklich hoffen, dass alle Landesregierungen diese Entscheidung jetzt auch 1 zu 1 umsetzen und nicht wieder alle möglichen Ausnahmen einbauen.
In Schleswig-Holstein sind wir da immer mit gutem Beispiel vorangegangen: Sperrstunde in der Gastronomie, begrenzte Teilnehmerzahlen für private Feiern, ausgeweitete Maskenpflicht, reduzierte Veranstaltungsgrößen, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum – all das haben wir nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Oktober umgehend beschlossen und zusätzlich noch eine Maskenpflicht im Unterricht.
Wenn sich schon damals alle Bundesländer auf ein Testgebot vor touristischen Hotelübernachtungen verständigt und auch daran gehalten hätten, dann hätte das nicht nur vor Gericht ein größere Überzeugungskraft entfaltet, dann wäre uns vielleicht auch das touristische Beherbergungsverbot erspart geblieben, so wie es jetzt tatsächlich gelten wird.
Am Ende, meine Damen und Herren, kommt es bei allen Regeln aber immer darauf an, dass sich die Bevölkerung selbst so verantwortungsbewusst wie möglich verhält. Wir brauchen jetzt Vernunft und Zusammenhalt unserer ganzen Gesellschaft, um diese dramatische Lage zu meistern.
Die diesbezüglichen Apelle der Bundeskanzlerin und des Ministerpräsidenten sind deshalb genau richtig. Nicht die Politik allein, sondern nur wir alle zusammen können diese Krise meistern.
Dafür braucht es Akzeptanz und Vertrauen. Als Politik sollten wir dafür gemeinsam werben, denn nur so wird es uns gelingen auch die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen.
Herzlichen Dank!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel