Sturmflut | | Nr. 371/23
TOP1: Mit dieser Jahrhundertflut lassen wir in Schleswig-Holstein niemanden allein!
Es gilt das gesprochen Wort!
Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
zwei Jahre liegt die Flutkatastrophe im Ahrtal zurück, die laut Deutschem Wetterdienst ein Jahrhunderthochwasser darstellte. In den Tagen zuvor waren Unwetter, Starkregen und Überschwemmungen vorhergesagt worden. Dennoch wurde die Bevölkerung viel zu spät gewarnt, rechtzeitige Evakuierungen wurden versäumt. Die Folge waren 135 Tote allein im Ahrtal. Mit dieser schrecklichen Katastrophe rückten die Gefahren von Extremwettereignissen auch bei uns in Deutschland in das öffentliche Bewusstsein.
Mit der Sturmflut an der Ostsee-Küste in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober dieses Jahres hat es jetzt auch uns in Schleswig-Holstein getroffen.
Beide Ereignisse lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Bei der heutigen Debatte steht sicherlich aber auch die Frage im Raum, ob aus der Katastrophe im Ahrtal die richtigen Konsequenzen gezogen worden sind und welche neuen Schlussfolgerungen sich jetzt aus dem Ostsee-Hochwasser ergeben.
Dabei lassen sich durchaus einige Parallelen zwischen beiden Ereignissen feststellen, aber es werden auch ganz deutliche Unterschiede sichtbar:
Zu den Gemeinsamkeiten gehört, dass die Wettervorhersagen in beiden Fällen bereits einige Tage vorher auf die Gefahr aufmerksam gemacht hatten. Das Bundesamt für Seeschiff-fahrt und Hydrographie warnte bereits am Donnerstag, den 19. Oktober vor einer Sturmflut an der deutschen Ostseeküste. In Flensburg könne ein Wasserstand von bis zu 2 Metern eintreten, hieß es in der Presse-mitteilung. Wie im Ahrtal wurden die vorhergesagten Pegelstände in Wirklichkeit aber sogar noch übertroffen. In Flensburg wurde mit 2,22 Metern der höchste Stand seit dem Jahr 1904 erreicht. Ebenfalls also eine Jahrhunderthochwasser. Der für den Küstenschutz zuständige Landesbetrieb war deshalb bereits seit Donnerstag voll im Einsatz. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LKN waren kontinuierlich an neuralgischen Punkten der Küstenlinie unterwegs, um kurzfristig auf eventuelle Störungen reagieren zu können. Außerdem wurden den Gemeinden und Kreisen über 130.000 Sandsäcke zur Verfügung gestellt, weitere 440.000 lagen in Reserve bereit.
Öffentlich vor der Sturmflut gewarnt wurde von der Landesregierung gleich mehrfach:
Donnerstagabend durch das Umweltministerium, Freitagmittag durch den Katastrophenschutzstab des Innenministeriums und am frühen Freitagabend warnte Ministerpräsident Daniel Günther persönlich vor weiter steigenden Pegelständen und forderte die Menschen auf, sich besonnen zu verhalten, die Arbeit der Einsatzkräfte nicht zu behindern und keinen Katastrophentourismus zu betreiben. Bei Heringsdorf südlich von Fehmarn im Kreis Ostholstein wurden gegen 19 Uhr vorsorglich mehrere Campingplätze und eine Ferienhausanlage evakuiert, weil das Hochwasser die Deichkrone zu erreichen drohte. Um 20.58 Uhr löste der Kreis Rendsburg-Eckernförde Katastrophenalarm aus, als das Hochwasser an mehreren Orten über die Ufer trat. In drei Ortsteilen der Gemeinde Maasholm im Kreis Schleswig-Flensburg wurden die Menschen aufgefordert, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten. Zu ihrer Unter-bringung wurde eine Mehrzweckhalle in Gelting mit Feldbetten eingerichtet. In Eckernförde, Schleswig und Brodersby mussten ebenfalls Anwohner evakuiert werden.
Vor allem am Beispiel von Arnis wird deutlich, wie rechtzeitig die Evakuierung eingeleitet worden sind. Wäre damit erst nach dem Deichdurchbruch begonnen worden, wären die Menschen in Arnis vom Wasser eingeschlossen gewesen, so dass eine Evakuierung dann nicht mehr oder nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen hätte erfolgen können.
Meine Damen und Herren, auch wenn die Schilderung der Ereignisse hier nur schlaglichtartig möglich ist, so wird doch eins deutlich:
Das Katastrophenschutzkonzept hier bei uns in Schleswig-Holstein hat funktioniert, die Menschen sind rechtzeitig gewarnt worden, erforderliche Evakuierungen wurden eingeleitet, Krisenstäbe auf Kreis und Landesebene haben gute Arbeit gemacht, Landräte und Landesregierung bis hin zum Ministerpräsidenten persönlich haben sich gekümmert und die Menschen nicht allein gelassen. Diesbezügliche Kritik aus Reihen der Oppositionsparteien ist deshalb vollkommen unangebracht! Selbstverständlich geht es nach einem solchen Katastrophenfall immer auch darum, die bestehenden Katastrophenschutzpläne zu überprüfen und ggf. nachzusteuern.
Eine pauschale Kritik wird aber vor allem der Arbeit der rund 2.500 überwiegend ehrenamtlichen Einsatzkräfte in keinster Weise gerecht, die in dieser Nacht unermüdlich Sandsäcke gefüllt, Wasser abgepumpt und rund 2.000 Menschen in Sicherheit gebracht haben. Ihrem Einsatz gebührt einmal mehr unser großer Dank und unsere Anerkennung. Sie haben Unglaubliches geleistet und damit Schlimmeres verhindert. Was wären wir ohne diese Frauen und Männer, deren Arbeit man gar nicht hoch genug wertschätzen kann.
Zu den Schlussfolgerungen aus der Sturmflut komme ich zwar erst später, ich will aber schon an dieser Stelle den Wunsch äußern, dass es für sie eine Dankesfeier geben möge, genauso wie es damals für die Einsatzkräfte im Ahrtal der Fall war.
Erwähnenswert ist ebenso die Tatsache, dass in dieser Hochwassernacht zahlreiche der vom Land beschafften Katastrophenschutzfahrzeuge zum Einsatz kamen. Die in den vergangenen Jahren zum Bevölkerungsschutz getätigten Investitionen haben sich ausgezahlt. Zum Einsatz kamen dabei nicht nur Kräfte aus den betroffenen Landkreisen, sondern auch aus anderen Landesteilen wurde Unterstützung herangezogen und mit ihren jeweiligen Fähigkeiten zielgerichtet zum Einsatz gebracht.
Die Koordination der unterschiedlichen Einsatzkräfte hat dabei hervorragend geklappt, so dass auch an dieser Stelle kein Anlass für Kritik aus der Opposition an der Stellenbesetzung im Innenministerium besteht. So gut der Katastrophenschutz funktioniert hat, so sehr stand ab dem folgenden Tag die Beseitigung der eingetretenen Schäden im Mittelpunkt des Handelns.
Auch in dieser Hinsicht hat unsere Landesregierung aber unverzüglich reagiert:
Der Ministerpräsident, die Innenministerin und die Umweltstaatssekretärin haben sich unmittelbar am Samstag persönlich ein Bild vor Ort gemacht. Die Finanzministerin und der Wirtschaftsminister ebenfalls noch am selben Wochenende. Nur zwei Tage nach dem Hochwasser hat das Kabinett in einer Sondersitzung am Montag die Hilfsmaßnahmen des Landes auf den Weg gebracht, den Kommunen per Online-Tool die Aufgabe der eingetretenen Schäden ermöglicht und in dieser Woche die Maßnahmen weiter konkretisiert.
Wie vom Ministerpräsidenten in der Regierungserklärung vorgestellt wird es Überbrückungsdarlehen für die Zeit geben, bis die Versicherungen zahlen. Ein Härtefallfonds wird zudem denjenigen Betroffenen helfen, denen ein Versicherungsschutz aufgrund einer hochwassergefährdeten Gebäudelage verwehrt geblieben ist. Mit dieser Jahrhundertflut lassen wir in Schleswig-Holstein niemanden allein!
Bevor ich auf den dritten Baustein, nämlich den Wiederaufbaufonds eingehe, will ich an dieser Stelle daran erinnern, dass wir die politische Debatte zur Versicherungspflicht gegenüber Elementarschäden erst am 21. September dieses Jahres und damit gerade mal einen Monat vor der Ostsee-Sturmflut hier im Landtag geführt haben. Auf Antrag der FDP hätten wir damals beschließen sollen, dass der Landtag die Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung ablehnt. Wörtlich hieß es im Antragstext, ich zitiere: „Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Hochwasser können zwar große Schäden verursachen, denen jedoch […] nicht durch weitere Versicherungspflichten zu begegnen sei.“ Zumindest nicht nach dem Willen der FDP.
Meine Damen und Herren, manchmal werden Oppositionsanträge schneller von der Realität überholt als man sich das vorstellen kann. Ich bin mir sicher, alle betroffenen Grundstückseigentümer wären heute mehr als froh, wenn es eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden bereits vor der Ostsee-Sturmflut gegeben hätte. Klugerweise hat der Landtag den FDP-Antrag mit den Stimmen von CDU, Grünen und SPD abgelehnt und stattdessen die Forderung nach einer bundesgesetzlichen Regelung für eine Elementarschaden-Pflichtversicherung unterstützt, für die sich unsere Landesregierung bereits vor einem halben Jahr im Bundesrat ausgesprochen hatte und für die sich unser Ministerpräsident wiederholt eingesetzt hat.
Wie an so vielen Stellen „glänzt“ der Bund aber auch bei diesem Thema durch Untätigkeit. Die Ablehnung der FDP lässt zudem befürchten, dass es auch in dieser Frage zu Streit und Blockade in der Ampel kommen wird. Aber da bin ich wirklich gespannt, wie sie das den Menschen in Schleswig-Holstein erklären wollen.
Das gilt im Übrigen auch für den SSW. Zwei Jahre nach der Ahrtal-Katastrophe und der daraufhin von mehreren Bundesländern ergriffenen Initiative zur Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung hatte der SSW vor einem Monat zwar viele Fragen, aber noch keine eigene Position. Mal schauen, ob das heute immer noch so ist.
Meine Damen und Herren, neben den Schäden an privaten Gebäuden und Schiffen sind umfangreichere Schäden auch an der öffentlichen Infrastruktur entstanden, sowohl im Bereich des Küstenschutzes als auch bei der touristischen Infrastruktur. Die eingetretene Schadenshöhe wird von der Landesregierung mittlerweile auf mindestens 200 Millionen Euro beziffert, wie wir vom Ministerpräsidenten eben gehört haben. Die Summe ist zwar deutlich kleiner als die Höhe der Schäden, die 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen entstanden sind. Für ein kleines Bundesland wie Schleswig-Holstein ist dies dennoch nur schwer zu verkraften. Mein Appell geht deshalb zuallererst an die Bundesregierung aber auch die anderen Bundesländer, uns mit den Schäden dieses Jahrhunderthochwassers nicht alleine zu lassen, sondern 50 Prozent der Kosten solidarisch zu übernehmen.
Genauso wie sich Schleswig-Holstein an den finanziellen Folgen der Oderflut und des Ahrtal-Hochwasser beteiligt hat, ist jetzt auch die Solidarität von Bund und Ländern mit den Ostsee-Anrainern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gefragt.
Ich begrüße sehr, dass sich unser Ministerpräsident zusammen mit seiner Schweriner Amtskollegin dafür bereits beim Bund eingesetzt hat.
Wenn wir uns den Bereich des Küstenschutzes anschauen, so können wir feststellen, dass die Landesschutzdeiche allesamt gehalten und damit ihre Schutzfunktion erfüllt haben. Angesichts der insgesamt eingetretenen Schäden ist dies zwar nur ein schwacher Trost, aber dennoch ein positiver Umstand, der auch nicht zu gering bewertet werden darf. Immerhin zeigt sich daran doch, dass die von Seiten des Landes zu verantwortenden Küstenschutzmaßnahmen ausreichend gewesen sind, um selbst einem Hochwasser dieses Kalibers zu begegnen. Gebrochen sind hingegen mehrere Regionaldeiche, so dass sich einmal mehr die Frage stellt, ob die Zuständigkeit für den Küstenschutz in gewissen Bereichen nicht noch stärker in die Verantwortung des Landes übergehen sollte.
Die grundsätzliche Bereitschaft des Landes, zur Übernahme von relevanten Regionaldeichen in Landeszuständigkeit ist dabei seit vielen Jahren gegeben, scheitert bislang aber offenbar an eigentumsrechtlichen Fragen. Ich würde mir wünschen, dass unter den gegebenen Umständen bei allen Beteiligten die Bereitschaft wächst, hier zu konstruktiven und sachgerechten Lösungen zu kommen.
Gleichzeitig macht dieses Jahrhunderthochwasser deutlich, dass auch an der Ostseeküste im Zeichen von steigenden Meeresspiegeln und zunehmenden Extremwetterereignissen ein verstärkter, zukunftsgerichteter Küstenschutz erforderlich ist, so wie wir ihn an der Nordseeküste mit den Klimaschutzdeichen bereits betreiben. Auch an dieser Stelle richtet sich der Blick allerdings nach Berlin. Küstenschutz ist Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Ein verstärkter Küstenschutz in Schleswig-Holstein wird deshalb nur gelingen, wenn auch der Bund zusätzliche Mittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung stellt. Das ist meine ganz klare Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung und ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen des Landtages diese Forderung teilen. Die Reaktion des Bundes fällt allerdings mangelhaft aus. Allen voran Bundesumweltministerium Lemke, die in Schleswig-Holstein zu Gast war, es allerdings nicht für nötig gehalten hat, die Katastrophengebiete zu besuchen. Dort wurden die Prioritäten falsch gesetzt!
Meine Damen und Herren, neben den Schäden am Küstenschutz hat auch die touristische Infrastruktur erhebliche Beeinträchtigungen davongetragen: Weggespülte Strandpromenaden, beschädigte Seebrücken und verlorengegangene Sandstrände lassen sich dafür beispielhaft nennen.
Diese Schäden fallen zwar formell in die Zuständigkeit der jeweiligen Standort-kommunen. Die Landesregierung hat aber von Anfang deutlich gemacht - und das in dieser Woche mit dem Spitzengespräch mit den Kommunalen Landesverbänden noch einmal untermauert -, dass das Land die Kommunen mit diesen Schäden nicht alleine lassen wird.
Das halte ich auch für absolut richtig, denn wir haben ein übergeordnetes, landesweites Interesse daran, dass die Schäden in einem unserer wichtigsten Wirtschaftszweige, dem Tourismus, schnellstmöglich behoben werden, damit einer erfolgreichen Saison 2024 nichts entgegensteht. Es muss deshalb mit dem Wiederaufbaufonds darum gehen, diese Herausforderung zwischen Land und Kommunen gemeinschaftlich zu meistern.
Die zwischen Landesregierung und kommunalen Spitzenverbänden getroffene Vereinbarung finde ich dabei so logisch und in sich schlüssig, wie man sich das besser gar nicht vorstellen kann:
Land und Kommunen teilen sich die Kosten je zu Hälfte und auf kommunaler Seite erfolgt wiederum eine hälftige Teilung zwischen betroffenen Standortgemeinden und der kommunalen Familie insgesamt. Das ist gelebte Solidarität, Schleswig-Holstein steht zusammen, Land und Kommunen gleichermaßen. Besser könnte das Zusammenwirken zwischen Landesregierung und kommunalen Spitzenverbänden wirklich nicht sein.
Meine Damen und Herren, bleibt abschließend die Frage, wo das Geld des Landes für zusätzliche Bevölkerungsschutzmaßnahmen, für verstärkten Küstenschutz und den Landes-anteil am Wiederaufbaufonds herkommen soll?
Unsere Landesverfassung lässt zwar im Falle von Naturkatastrophen eine Kreditaufnahme zu. Das Instrument des Notkredites kann und darf allerdings auch nicht zum jährlichen Regelfall werden, das will ich hier ganz deutlich sagen. Einen Notkredit zur Bewältigung der Sturmflutfolgen allerdings nur deshalb abzulehnen, weil in den beiden Vorjahren bereits Notkredite zur Bewältigung der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges aufgenommen worden sind, wäre auch unangemessen, denn in der Landespolitik kann niemand im Geringsten etwas dafür, dass uns diese drei Krisen innerhalb von drei Jahren getroffen haben.
Ich würde deshalb anregen, dass wir über die Finanzierung der Hochwasserhilfen in den nächsten Tagen Gespräche zwischen allen Landtagsfraktionen führen, um möglichst bis zur regulären Landtagssitzung im November eine fertige Lösung zu haben.
Meine Damen und Herren, gerade mit Blick auf die letzten Jahre mit Pandemie und Kriegsfolgen würde man sich ja wirklich wünschen, dass wir solche Krisenzeiten auch mal wieder hinter uns lassen und zur Normalität zurückkehren könnten. Andererseits haben wir in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren bewiesen, dass wir krisenfest sind, dass wir auch extreme Situation meistern, dabei zusammenstehen und nicht unseren Optimismus verlieren.
Eine Sturmflut gehört dabei zu den Herausforderungen, denen wir schon seit Jahrhunderten in Schleswig-Holstein trotzen. Ich bin mir daher sicher, das wird uns auch dieses Mal wieder gelingen. Glück auf!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel