Rassismus | | Nr. 114/21
TOP 20+45: Rassismus geht uns alle an
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor ungefähr 30 Jahren in der Nacht auf den 23. November 1992: In der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln werfen die 19-jährigen Neonazis Lars Christiansen und der 25-jährige Michael Peters in ihrem rassistischen Wahn Brandsätze in zwei Häuser. Die Mörder müssen gewusst haben, dass dort türkische Familien wohnen. Durch den Brandanschlag sterben in der Mühlenstraße zwei Mädchen – die 10-jährige Yeliz Arslan und die 14-jährige Ayse Yilmaz – und die 51-jährige Bahide Arslan. Neun Menschen werden bei diesem feigen Anschlag verletzt.
In einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, wurden Bewerbungen von 6.000 fiktiven deutschen Staatsbürgern des Jahrgangs 1992 zu Ausschreibungen von acht verschiedenen Ausbildungsberufen verschickt. Lediglich die Namen und das Herkunftsland der Eltern unterschieden sich. Aussehen und Religion variierten die Forscher ebenfalls. Das Ergebnis: Während deutschstämmige Bewerber 60 Prozent positive Rückmeldungen erhielten, waren es bei Bewerbern mit ausländischen Wurzeln nur 51 Prozent. Bewerber mit albanischen, marokkanischen, äthiopischen, pakistanischen oder dominikanischen Wurzeln erhielten nur zu 41 Prozent eine positive Rückmeldung.
Anfang diesen Monats kam eine 45 Jahre alte Frau mit chinesischen Wurzeln gegen 19 Uhr nach Hause und wurde vor ihrer Wohnungstür angegriffen – von einem Nachbarn. Der ebenfalls 45 Jahre alte Mann besprühte die Frau überfallartig mit einem Desinfektionsmittel und schrie dazu mehrmals das Wort "Corona", berichtet die Polizei. Die verängstigte Frau rief über den Notruf 110 die Polizei. Einer Streife gelang es, den Angreifer zu beruhigen.
Rassismus hat verschiedene Gesichter. Rassismus ist kein neues aber eben auch kein altes Phänomen. Rassismus ist kein Problem von einzelnen, sondern betrifft die Gesamtgesellschaft. Und schließlich: Rassismus geht uns alle an.
Unsere Jamaika-Koalition hat das bereits am Anfang dieser Legislaturperiode als Aufgabe erkannt und deutlich gemacht, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft diskriminierungsfrei leben können müssen. Wir stellen uns gegen Rassismus gegen Schwarze Menschen und People of Color, gegen antimuslimischen Rassismus, gegen Antiziganismus und gegen Antisemitismus.
Und deshalb haben wir unseren Landesaktionsplan gegen Rassismus auf den Weg gebracht und dabei bildungs-, gesellschafts-, sozial- sowie innen- und rechtspolitische Aspekte berücksichtigt. Den aktuellen Arbeitsstand hat unsere Innenministerin gerade vorgestellt und das kann sich sehen lassen. Wir erfüllen das, was wir im Koalitionsvertrag beschlossen und versprochen haben. Das machen wir interministeriell und mit der Einbindung der Zivilgesellschaft. Richtig ist: Corona hat die Erstellung des Aktionsplans etwas verschoben, aber wir liefern und haben den Aktionsplan auch mit den entsprechenden Haushaltsmitteln hinterlegt. Ich bin schon gespannt auf den finalen Aktionsplan, wenn er dem Landtag zugeleitet wird. Heute sprechen wir ja nur über einen Zwischenstand.
Und: Wir beschäftigen uns in dieser Legislaturperiode nicht das erste Mal intensiv mit dem Thema Rassismus. Insbesondere der gemeinsame Antrag aus dem Mai letzten Jahres von CDU, SPD, Grüne, FDP und SSW mit dem Titel „Für Demokratie – Gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Terror“ ist immer noch erstaunlich lesenswert. Das sage ich gerade in Richtung SPD, weil ich den aktuellen Antrag wegen des Aktionsplans und alter Beschlussfassungen, die wir fraktionsübergreifend getroffen haben, nicht wirklich verstanden habe. Alle Punkte, die sie heute in ihrem Antrag aufgreifen, sind schon längst in Bearbeitung und teilweise sogar deswegen, weil Sie das mit uns auf den Weg gebracht haben. Aus meiner Sicht sollten Sie damit aufhören, ihre Anträge solitär zu betrachten. Gerade bei einem solchen Thema wie Rassismus. Man erreicht gemeinsam mehr.
Aber wir wollen die Opposition auch loben. Ausdrücklich spannend und sehr bereichernd habe ich die Anhörung zum Thema Kolonialismus in Schleswig-Holstein im Bildungsausschuss empfunden. Und ich bin dem SSW tatsächlich im Nachhinein– das hatte ich nicht sofort erkannt – für die Initiative zu der Großen Anfrage dankbar. Ich bin mir sicher, viele Aspekte werden auch ihren Weg in den Landesaktionsplan finden.
Aber die Anhörung hat auch Kontroversen aufgezeigt. Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um? Und da geht es nicht nur um Kolonialismus. In Großbritannien werden Statuen und Denkmäler von Winston Churchill abgesperrt und eingerüstet. Einige sehen in dem ehemaligen britischen Premier einen Rassisten. Andere halten ihn für einen Helden, der Europa vom Nationalsozialismus und Rassismus befreit hat. Ein deutsches Beispiel für eine solche Kontroverse ist Martin Luther. Ich glaube, es kann nicht klug sein, die Vergangenheit zu vertilgen, sondern wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen.
Die Gruppe Initiative Kiel Postkolonial führt regelmäßig postkoloniale Stadtspaziergänge durch und macht über dieses Angebot Spuren der Kieler Kolonialgeschichte an Hand von Straßennamen und anderen Hinweisen deutlich. Zugegeben, diese Gruppe hat sich in der Anhörung auch für die Umbenennungen von Straßennamen ausgesprochen. Aber gerade die Sichtbarkeit der fragwürdigen Straßennamen führt dazu, dass wir uns auch jetzt und in der Zukunft immer wieder auch mit schwierigen Epochen unserer Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Sichtbare Geschichte ist ein Wert an sich. Kontextualisierung ist hier das Schlüsselwort.
Und das gilt übrigens nicht nur für die Geschichte, sondern genauso für die Gegenwart. Rassismus dürfen wir nicht ausblenden und verleugnen. Der Kampf gegen Rassismus kann nur gewonnen werden, wenn wir das Kind beim Namen nennen, sichtbar machen, ansprechen und natürlich bekämpfen.
Ich möchte mit einem Zitat von Nelson Mandela – mit Erlaubnis des Präsident – schließen:
"Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion geboren. Hass wird gelernt. Und wenn man Hass lernen kann, kann man auch lernen zu lieben. Denn Liebe ist ein viel natürlicheres Empfinden im Herzen eines Menschen als ihr Gegenteil."
Danke, dass Sie mir zugehört haben.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel