Europa | | Nr. 474/20
TOP 29: Wir fordern die Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
ich danke an dieser Stelle zunächst der SPD für ihre Initiative, diesen grundsätzlichen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, auch wenn er die Landespolitik zunächst nicht direkt berührt. Die schnelle Einigung auf einen gemeinsamen Antrag unterstreicht die große Einigkeit der demokratischen Fraktionen in diesem Parlament in der Frage der Rechtstaatlichkeit in der EU. Uns treibt alle die Sorge, dass diese Grundwerte in einigen Mitgliedsstaaten in großer Gefahr ist und damit an den Grundfesten der Europäischen Union gerüttelt wird.
Gemäß Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union ist Rechtsstaatlichkeit einer der Grundwerte der EU. Die Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass die Staatsgewalt zu jeder Zeit innerhalb des von der Gesetzgebung vorgegebenen Rahmens handelt, die Demokratie und die Werte der Grundrechte wahrt sowie der Kontrolle unabhängiger und selbständiger Gerichte unterliegt. Zur Rechtsstaatlichkeit gehören unter anderem die folgenden vom Gerichtshof der Europäischen Union und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannten Prinzipien:
Grundsätze der Gesetzmäßigkeit
Rechtssicherheit
Willkürverbot der Exekutiven
wirksamer Rechtschutz garantiert von unabhängigen und unparteiischen Gerichten
wirksame gerichtliche Kontrolle inklusive Achtung der Grundrechte
Gewaltenteilung zwischen Staatsorganen
Gleichheit vor dem Gesetz
Auch das Prinzip der freien Presse und Berichterstattung gehört zu den demokratischen Grundwerten der Europäischen Gemeinschaft. Zu diesen Grundwerten haben sich alle Mitgliedsstaaten mit ihrem Beitritt in die Europäischen Union bekannt.
Sowohl in Ungarn als auch in Polen verstärken sich die Maßnahmen, um regierungskritische Stimmen und Aktivitäten zu diskreditieren. Die Medien werden immer stärker kontrolliert und auf Regierungsfreundlichkeit getrimmt. Gesetze werden beschlossen, die die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und die Gewaltenteilung schwächen. Erst Mittwoch konnten wir lesen, dass in Polen ein staatlicher Energiekonzern 20 regionale Zeitungen übernommen hat. Gegen beide Staaten läuft ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Bislang wirkt die EU aber oft wie ein zahnloser Tiger. Die Durchschlagskraft der möglichen Maßnahmen ist sehr begrenzt. Leider sind auch in weiteren osteuropäischen Staaten wie Bulgarien, Rumänien oder Slowenien rechtsstaatliche Prinzipien unter Druck geraten.
Anrede,
Höhepunkt der Auseinandersetzung ist die Verweigerung von Polen und Ungarn ihre Zustimmung zu dem 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpaket bestehend aus dem Mehrjährigen Finanzrahmen und dem Corona-Hilfsfond zu verweigern. Hintergrund sind die Pläne der EU, Haushaltsmittel künftig an die Einhaltung rechtsstaatlichen Standards zu koppeln. Eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit.
Die Oberbürgermeister von Warschau und von Budapest haben in einer bislang einmaligen Aktion einen Brandbrief an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt, der von 254 Bürgermeistern und Regionalvertretern aus Polen und Ungarn unterzeichnet worden ist. Sie verurteilen das Verhalten ihrer Regierungen aufs schärfste und sprechen sich für die Grundwerte der EU und explizit der Rechtsstaatlichkeit aus. Posens Oberbürgermeister Jacek Jaskowiak spricht Klartext. Ich zitiere: "Wir sind dankbar, in der EU zu sein. Diese Regierung sieht die EU nur als Kuh an, die man melken kann.“ Ich empfehle Ihnen die Lektüre dieses Briefes, der die die Spaltung in diesen Ländern deutlich macht.
Unsere Kanzlerin Angela Merkel versucht derweil mit einem Kompromiss Polen und Ungarn zu einer Zustimmung zu bewegen, damit die wichtigen Finanzhilfen fließen können. Aber auch hier müssen alle Mitgliedsstaaten zustimmen.
Wie wollen wir diesen negativen Entwicklungen begegnen?
Nach meiner und unserer Auffassung ist damit eine Schwelle erreicht, die nicht überschritten werden darf. Die Grundwerte sind nicht verhandelbar. Die Glaubwürdigkeit der EU ihren Bürgern gegenüber aber auch nicht europäischen Ländern gegenüber darf keinen Schaden. Unsere Bürger setzen darauf, dass gleiches Recht für alle gilt. 80 Prozent der Deutschen halten nach dem letzten Deutschlandtrend den geplanten Rechtsstaatsmechanismus für richtig. Wer Geld von der EU erhält hat sich an die Grundregeln von Rechtsstaat und Demokratie zu halten. Finanzmittel sind daher – leider – das wirksamste Druckmittel. Nun gilt es auch das Einstimmigkeitsverfahren der EU so zu verändern, dass es sich nicht gegen die eigenen Grundwerte richten kann.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Antrag.
Vielen Dank!
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel