Matrosenaufstand | | Nr. 366/18
(TOP 26) Heutiges Handeln an den Lehren der Vergangenheit ausrichten
Es gilt das gesprochene Wort
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Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,
es waren dramatische Ereignisse in den ersten Novembertagen des Jahres 1918 hier in Kiel.
Nach vier Jahren eines grausamen gegenseitigen Abschlachtens mit fast 20 Millionen Toten und über 20 Millionen Verletzten war der Krieg für die Mittelmächte endgültig verloren. Seit Anfang August befanden sich die Alliierten an allen Fronten auf dem Vormarsch.
Am 2. Oktober 1918 räumte die Oberste Heeresleitung vor dem Reichstag die aussichtslose militärische Lage ein.
Am darauffolgenden Tag wurde deshalb erstmals eine Reichsregierung unter Beteiligung der Sozialdemokratie mit dem Ziel gebildet, umgehend Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen aufzunehmen. In dieser Situation entwickelte die deutsche Marineführung den aberwitzigen Plan einer letzten Entscheidungsschlacht mit der englischen Flotte – allein angetrieben von falsch verstandenem Ehrgefühl.
Der Tod von tausenden Matrosen bei diesem militärisch sinnlosen Existenznachweis der deutschen Flotte wurde dabei billigend in Kauf genommen. Eine Haltung, die stark an die Naziparolen vom „Kampf bis zur letzten Patrone“ im Weltkrieg erinnert.
Es waren zunächst nur einige Dutzend Matrosen, die sich diesem Befehl widersetzten und meuterten. Sicherlich auch aus Angst um ihr eigenes Leben, zugleich aber mit einem bewundernswerten Mut angesichts drohender Todesstrafen. Einem Mut, den viele Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges mit dem Verweis auf Befehl und Gehorsam nicht besessen haben.
Dem sich daraus entwickelnden Kieler Matrosenaufstand schlossen sich innerhalb kürzester Zeit weitere Aufständische an. Es wurden Soldaten- und Arbeiterräte gebildet, die politische Forderungen nach Abdankung des Kaisers, nach allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen für beiderlei Geschlechter und nach Pressefreiheit formulierten.
Was als Meuterei begann, wurde zum Ausgangspunkt der Novemberrevolution, breitete sich von Kiel über das Reichsgebiet aus und beschleunigte wenige Tage später in Berlin die Bekanntmachung zur Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik.
Diese Ereignisse der ersten Novembertage des Jahres 1918 bilden die Wurzel unserer parlamentarischen Demokratie, so wie wir sie heute kennen. Der Kieler Matrosenaufstand ist damit untrennbar verbunden. Vollkommen zu Recht erinnern wir deshalb 100 Jahre später an dieses historische Ereignis.
Meine Damen und Herren, eine Beurteilung gestaltet sich dennoch vielschichtiger, als es auf den ersten Blick erscheint.
Wenn der Kieler Matrosenaufstand in der Weimarer Republik keine vergleichbare Anerkennung erfuhr, dann deshalb, weil er in den Augen der damaligen Zeitgenossen vor allem Ausdruck von Chaos und revolutionärem Umsturz war, an dessen Ende keine Demokratie, sondern eine bolschewistische Rätediktatur gestanden hätte.
Das NDR Doku-Drama „Aufstand der Matrosen“, das vor wenigen Tagen hier im Kieler Metro-Kino Premiere hatte, macht sehr deutlich, dass der nach Kiel entsandte sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gustav Noske keineswegs an der Seite der Aufständischen stand, sondern zu allererst an der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung interessiert war.
Björn Engholm bezeichnete ihn deshalb in der Premierenveranstaltung als „echten Widerling“ – eine Einschätzung, die ich mir ausdrücklich nicht zu eigen mache. Ganz im Gegenteil: Ich halte es für eine der ganz großen historischen Leistungen der damaligen Mehrheits-Sozialdemokraten unter Friedrich Ebert, dass sie den Übergang vom Kaisertum zur parlamentarischen Demokratie ohne großes Blutvergießen gestaltet haben.
Gedankt wurde das der SPD allerdings schon damals nicht: Weniger als zwei Jahre nach dem Kieler Matrosenaufstand muss sie bei der Reichstagswahl 1920 massive Verluste hinnehmen und verzeichnete nur noch einen Stimmenanteil von 21,6 Prozent.
Die Sozialdemokraten entschieden sich daraufhin für den Ausstieg aus der Weimarer Koalition und den Gang in die Opposition – eine Entscheidung, die Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit weckt.
Tragischerweise hat das Scheitern der Weimarer Republik ebenfalls einen Bezug zum Kieler Matrosenaufstand. Dieser lieferte nämlich die Basis für die Fake-News der damaligen Zeit. Ich meine die Dolchstoßlegende, mit der die Republikfeinde von rechts der jungen Demokratie fortwährend zusetzen.
Die damit einhergehende Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung ließ die politischen Ränder links und rechts immer stärker werden, während es den Parteien der demokratischen Mitte nicht gelang, für stabile Verhältnisse zu sorgen und dafür Kompromisse einzugehen.
Meine Damen und Herren, wer sich mit dem Kieler Matrosenaufstand und den darauffolgenden Jahren der Weimarer Republik beschäftigt, der stößt auf vielfältige Parallelen und Bezugspunkte zu den heutigen politischen Herausforderungen.
Es ist deshalb wichtig, dass unsere Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, sondern wir unser heutiges Handeln immer wieder an den Lehren der Vergangenheit ausrichten. Wir unterstützen deshalb den mittlerweile gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, Bündnis90/Die Grünen, FDP und SSW und stimmen diesem zu.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel